AnwGH NRW, Urteil vom 29.05.2015, Az. 1 AGH 1/15

Für den Anwalt ist es in der Regel einfacher, überflüssige Informationen auszusortieren als den Sachverhalt mühsam Schritt für Schritt zu rekonstruieren und einzelne Belege anzufordern.

Viele Mandanten bringen daher zu einer Besprechung gerne alles mit, was ihnen in die Finger fällt – auch Originalunterlagen.

Der Anwaltsgerichtshof NRW musste sich mit der Frage beschäftigen, was mit diesen Originalen nach Beendigung des Mandats passiert:

Sachverhalt

Rechtsanwalt T vertrat seine Mandanten, ein Ehepaar, in drei Verfahren. Nachdem die Vertretung dieser Mandanten von Rechtsanwalt X übernommen worden war, forderte Rechtsanwalt X den Rechtsanwalt T auf, die ihm durch das Ehepaar überlassenen Schriftstücke herauszugeben. Die Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts T hatten die Mandanten vollständig bezahlt.

Rechtsanwalt T gab die Schriftstücke nicht heraus. Er war der Meinung, es bestehe keine berufsrechtliche Pflicht zur Herausgabe der Handakten.

Herausgabe der Handakten beruht auch auf berufsrechtlicher Pflicht

Der Anwaltsgerichtshof NRW stellt zunächst fest, dass unbestritten zivilrechtlich ein Anspruch der Mandanten auf Herausgabe der Handakten nach § 675 i.V.m. §§ 666, 667 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) besteht.

Zusätzlich bejaht das Gericht aber auch eine berufsrechtliche Pflicht des Rechtsanwalts zur Herausgabe. Das ergebe sich trotz fehlender ausdrücklicher Regelung inzident aus der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), nämlich aus der Generalklausel des § 43 BRAO i.V.m. §§ 675, 667 BGB.

Kommt es zu einer Beendigung des Mandats, darf der Mandant, der seine Rechtsangelegenheit auf anderem Weg verfolgt, daher erwarten, dass er seine dem früheren Bevollmächtigten ausgehändigten Originalunterlagen zurückerhält. Ist der frühere Bevollmächtigte hinsichtlich seiner Gebühren und Auslagen befriedigt, ist keinerlei Grund erkennbar, der eine Zurückhaltung der Handakten rechtfertigen könnte.

Rechtsanwalt T war nach Ansicht des Gerichts schuldig, seinen Beruf nicht gewissenhaft ausgeübt zu haben und sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung des Rechtsanwalts erfordert, nicht würdig erwiesen zu haben. Gegen ihn wurde daher als anwaltsgerichtliche Maßnahme ein Verweis verhängt sowie eine Geldbuße von € 2.000,-.

Zusammenfassung

Hin und wieder kommt es zum Vorschein: Als Organen der Rechtspflege kommt Rechtsanwälten eine wichtige Funktion zu. Ihre Tätigkeit ist mit einer besonderen Vertrauensstellung verbunden.

Umso wichtiger ist es, dass sie sich dieser Stellung bewusst sind und ihren Beruf gewissenhaft ausüben. Dazu gehört auch, Mandanten ausgehändigte Originalunterlagen zurückgeben.