AG München, Urteil vom 15.04.2016, Az. 274 C 24303/15
Es ist immer das gleiche Dilemma: Während der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sich möglichst umfassend von seiner Haftung freizeichnen möchte, verlangt sein Vertragspartner eine möglichst unbeschränkte Haftung.
Der Gesetzgeber löst diesen Interessenkonflikt durch detaillierte Vorgaben für eine rechtlich wirksame Haftungsbeschränkung in AGB.
Doch auch die richtige Anwendung der gesetzlichen Vorschriften ist nicht immer leicht: Das Amtsgericht München hat sich in seiner nachfolgenden Entscheidung mit den Auswirkungen des Transparenzgebots auf Haftungsfreizeichnungen befasst.
Sachverhalt
Der Kläger ist Eigentümer und Halter eines Volvo XC 90 und Mitglied bei der Beklagten zu 1).
Die Beklagte zu 1) ist ein Verein zur Wahrnehmung und Förderung der Interessen des Kraftfahrzeugwesens und des Motorsports. In den AGB der Beklagten zu 1) findet sich folgende Klausel:
„5. Für Leistungsstörungen bei Pannen- und Unfallhilfe haften wir, wenn wir oder unsere Vertragspartner vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben, soweit es nicht die wesentlichen Hauptpflichten des Vertrages oder Körperschäden betrifft.“
Der Beklagte zu 2) ist als sog. Pannenhelfer tätig.
Der Kläger stellte am 24.02.2015 um 4.00 Uhr morgens fest, dass er seinen Schlüssel im verschlossenen Auto vergessen hatte. Er bat deshalb die Beklagte zu 1) um Pannenhilfe.
Die Beklagte zu 1) beauftragte den Beklagten zu 2), der gegen 5.00 Uhr vor Ort eintraf.
Der Beklagte zu 2) öffnete das Fahrzeug des Klägers. Nach der Öffnung wies die Windschutzscheibe des Fahrzeugs einen Schaden auf. Diesen Schaden ließ der Kläger reparieren.
Der Kläger verlangt von den Beklagten Ersatz seiner Reparaturkosten.
Verstoß gegen das Transparenzgebot
Das Amtsgericht München stellt in seinem Urteil fest, dass dem Kläger ein Schadenersatzanspruch gegenüber den Beklagten zusteht. Die Haftung der Beklagten werde nicht durch die Klausel Nr. 5 der AGB der Beklagten zu 1) beschränkt.
Ausgangspunkt für die Überlegungen des Gerichts ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach der eine formularmäßige Freizeichnung von der Haftung für einfache Fahrlässigkeit nicht zur Aushöhlung von vertragswesentlichen Rechtspositionen des Vertragspartners führen darf.
Der Bundesgerichtshof fasst zwar in seiner Rechtsprechung diese vertragswesentlichen Rechtspositionen schlagwortartig unter dem Begriff „Kardinalpflichten“ zusammen. Das Gesetz kennt diesen Begriff indes nicht. Der Bundesgerichtshof nutzt ihn entweder zur Kennzeichnung einer konkret beschriebenen, die Erreichung des Vertragszwecks gefährdenden, wesentlichen Pflichtverletzung oder als Pflicht, deren Erfüllung die ordnungsgemäße Durchführung des Vertrags überhaupt erst ermöglicht und auf deren Einhaltung der Vertragspartner regelmäßig vertrauen darf. Mit anderen Worten: Mit den Kardinalpflichten steht und fällt der Vertrag.
Die Klausel Nr. 5 verstößt nach den Ausführungen des Amtsgerichts München gegen das Transparenzgebot aus § 307 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), da es vorliegend noch nicht einmal für einen Juristen hinreichend verständlich wird, was die Haftungsbeschränkung umfasst, weil der Begriff „wesentliche Hauptpflichten“ zu vage ist und weder durch eine abstrakte Erklärung noch durch Regelbeispiele näher erläutert wird.
Mitverschulden des Klägers
Das Gericht hat den Schadenersatzanspruch des Klägers allerdings wegen seines Mitverschuldens um 1/3 gekürzt.
Da sich Fahrzeuge der Marke Volvo nur sehr schwer öffnen lassen, hat der Kläger mit seiner Zustimmung zur Fahrzeugöffnung sein Mitverschulden an dem entstandenen Schaden begründet,
§ 254 BGB. Der Beklagte zu 2) hatte den Kläger vor Beginn seiner Arbeiten auf die besondere Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit der Öffnung von Fahrzeugen dieses Typs hingewiesen.
Zusammenfassung
Es bleibt zum einen die Erkenntnis, dass Pannenhelfer wahrscheinlich nicht gerne Volvos öffnen.
Zum anderen bestätigt das Amtsgericht München in seinem Urteil, dass Haftungsfreizeichnungen nicht die sog. Kardinalpflichten aushöhlen dürfen. Als Verwender von AGB müssen Sie zudem darauf achten, dass Sie diesen Begriff – zumindest abstrakt – in Ihren AGB näher erläutern.